Do videos dream of glitching?
Wenn wir in digitale Welten eintauchen, verlassen wir uns darauf, dass alles reibungslos funktioniert: Die Website wird sofort geladen, der Videoanruf funktioniert unmittelbar... Doch das ist nicht immer der Fall. Störungen erzeugen alternative Räume und neue Verständnisweisen, indem sie den ‚Fluss‘ unterbrechen. Die Fehler, Störungen und Unterbrechungen, die in unserem Alltag zu Irritationen führen – meist ärgerlich, aber manchmal auch überraschend – werden auch Glitches genannt.
Ein Glitch kann absichtlich oder auch zufällig entstehen. Er zelebriert die ineffiziente, irrationale, lästige Störung. Glitches wurden von einer Vielzahl von Künstler*innen als ästhetisches und konzeptionelles Werkzeug eingesetzt. Dabei zeigt der Glitch oft illusionistische Züge, die an Phantasmagorie, einen der Bühnenzauberkunst und Technikgeschichte entlehnten Begriff, erinnern. Videokünstler*innen nutzen das Glitching, so unsere These, als emanzipatorische Strategie, die eine vertiefte Technologiekritik ermöglicht. Phantasmagorische Video-Glitches ermöglichen demzufolge versteckte (Macht-)Strukturen innerhalb von Technologie, Medien und Politik zu offenbaren, die über ihre technologische Mechanik hinausreichen.
Die ausgewählten Arbeiten hinterfragen in diesem Sinne die Grenze zwischen Fehlfunktion und Manipulation. Wo kollidiert Illusion mit Dysfunktion? Was wäre, wenn wir in einer phantasmagorischen Realität lebten und nur von diesen Störungen träumen könnten, um in ein Jenseits der Illusionen zu entkommen?
Steina (*1940 in Reykjavik, IS, lebt und arbeitet in Santa Fe, US) und Woody Vasulka (*1937 in Brünn, CZ, †2019 in Santa Fe, US) gehören als Künstlerpaar zur ersten Stunde der Videokunst. Bereits in den 1960er Jahren produzierten sie Arbeiten, in denen sie mit elektronischen Signalen experimentierten. Noisefields ist ein wichtiges Beispiel für formale und technische Experimente mit analogen Videos, in der die Grenzen zwischen Video und Neuen Medien verschwimmen. Elektronische Signale wurden hier visualisiert und gleichen einem Flimmereffekt. Unterschiedliche Farben und das Pulsieren zwischen einer kreisförmigen Form sowie deren Außenflächen erzeugen eine hypnotisierende Wirkung.
Franziska Megert (*1950 in Thun, CH, lebt und arbeitet in Bern, CH und Düsseldorf, DE) benutze in ihrem Psychologiestudium die Videokamera und den Fotoapparat zu Dokumentationszwecken. Ihr künstlerisches Schaffen ist geprägt vom Interesse für die Visualisierung der menschlichen Physiognomie. Die Arbeiten haben einen experimentellen Charakter, der sich auch in Sweet Dressing widerspiegelt. Die abstrakten Formen, ständig in Bewegung, deuten Silhouetten von zwei Personen, einer Frau und einem Mann, an. Nach und nach werden diese durch die Umrisse ihrer Kleidung sichtbar.
Paul Garrin (*1957 in Philadelphia, US, lebt und arbeitet in New York City, US) hat das Medium Video oft benutzt, um institutionalisierte Gewalt und Unterdrückung, beispielsweise durch die Polizei, zu dokumentieren und zu offenbaren. Free Society ist eine elektronische Collage, die kriegerische Glorie und Brutalität schildert. Bilder von paradierenden Polizeieinheiten und Militärs werden kontrastiert mit weltweit verarbeiteten Themen wie der politischen Situation in Südafrika, West Bank, Süd-Korea, Nord-Irland und Panama, den „Civil Rights Riots“ aus den 1960er Jahren in Alabama, Chicago 1968 und New York 1988.
Raphael Montañez Ortíz (*1934 Brooklyn, US, lebt und arbeitet in Highland Park, US) ist ein nuyoricanischer (New Yorker der puertoricanischen Diaspora) Künstler und Gründer des El Museo del Barrio in New York. Internationale Bekanntheit erlangte er durch sein destruktivistisches Manifest und die daraus resultierenden Arbeiten. In Busy Bodies, wie auch in vielen anderen Videoarbeiten, eignet sich der Künstler Szenen aus alten Hollywood-Produktionen an, indem er diese auflöst, überlagert, in sehr kurze Sequenzen schneidet und mit geringen Variationen immer wieder reproduziert. Der Dialog zwischen den beiden alten Damen, deren Gesichter sich wie Masken über die Szene legen, ist dem Film Vom Winde verweht (1939) entnommen.
Ulrike Rosenbach (*1943 in Bad Salzdetfurth, DE, lebt und arbeitet in Bad Münstereifel, DE) zählt zu den ersten und bekanntesten deutschen Videokünstlerinnen. Seit den 1970er Jahren setzt sie sich mit ihren Arbeiten für feministische Anliegen ein. Das Video Das Feenband zeigt eine schimmernde Oberfläche, die, wie ein visueller Gong oder ein Spiegelmond, langsam in Bewegung gerät. Das Video reflektiert Bilder aus dem Nebel. Es suggeriert Erinnerungen eingebettet in Landschaften von Bergen und Seen, als würden diese aus einem Familienalbum stammen. Dazwischen erscheint, wie im Dialog, das Gesicht der Künstlerin.
George Barber (*1958 in der Nähe von Georgetown, GY, lebt und arbeitet in London, UK) ist eklektisch und seine Ideen sind vielfältig. Narrative und Found-Footage stehen im Zentrum vieler seiner Arbeiten, die er entweder dekonstruiert oder so umwandelt, dass sie der ursprünglichen Intention des Autors widersprechen. In seinen Videos werden hierbei Elemente des Fernsehens invertiert, modelliert und neu interpretiert. Effervescence kombiniert eine Art nicht-lineares, psychedelisches „dark ambient“ Bildspiel mit interaktiver Technologie und nimmt uns mit auf eine Reise an den Rand neuer Formen.
Norbert Meissner (*1954 in Stendal, DE lebt und arbeitet in Leipzig, DE) hat sich seit Mitte der 1980er Jahre mit der Distribution und Ausbildung von Videokunst in Deutschland auseinandergesetzt. Meissner war Gründungsmitglied der Fernseh Akademie Mitteldeutschland und ist seit 1990 Vorstandsvorsitzender des Piratenfernsehsenders Kanal X. Dialog ist eine analoge Videoarbeit, realisiert mit der damals hochwertigen Videoband-Technologie. Das Video stellt eine strukturelle Analyse des elektronischen Bildes mit semantischen und politischen Untertönen dar. Bild und Ton formen Störfaktoren und thematisieren das historische Verhältnis zwischen Ost und West. Russische und amerikanische Medientonmaterialien vermischen sich und verweisen auf politische Kommunikationsstrukturen sowie auf den ironisch anmutenden Titel der Arbeit.
Ausstellungsort
Videolounge der Stiftung IMAI im
NRW-Forum Düsseldorf
Ehrenhof 2
40479 Düsseldorf