Video Digest #1 das Magazin
BECKET MWN
Presence, 2023
Zine
Speziell für Video Digest #1 ist eine neue
Arbeit des Künstlers Becket MWN entstanden, der das Format des Booklets, das den historischen Videomagazinen häufig bei- gelegt war, als formalen Ausgangspunkt für ein von David Bennewith gestaltetes Zine gewählt hat. Die Kapitel des Textes – adressiert an unbestimmt bleibende Editor:innen – betonen die machtvolle Position der Editor:innen in der Konzeption der historischen Videomagazine und darüber hinaus. Der Essay spielt in einer nahen Zukunft und nimmt das Editieren als Ausgangspunkt, um über die Konstruktion von Subjekten im Film und das Moment des Unheimlichen in der medial vermittelten Kommunikation nachzudenken. Eine besondere Aufmerksamkeit erfährt hier das so genannte ‚twinning‘ als eine Schnitt- und Bearbeitungstechnik, die es Schauspieler:innen ermöglicht, innerhalb einer Produktion die Rollen eines Zwillingspaars einzunehmen.
In der Arbeit an dem Text hat sich Becket MWN von weiteren Kollektiven aus den Archiven des IMAI – Inter Media Art Institutes, darunter Minus Delta T. und ihrer Medienkritik, leiten lassen. Eine Medienkritik bzw. eine besondere Medienaffinität findet sich auch in der Ausstellungsgeschichte der Moltkerei Werkstatt als Ort der Präsentation wieder, die mit Ausstellungsprojekten wie Piazza Virtuale des Kollektivs Van Gogh TV, das später im Rahmen der documenta 9 gezeigt wurde, frühe interaktive Medienarbeiten zeigte.
Das Zine von Becket MWN wird in einer skulpturalen Halterung, die mit dem Ausstellungsdesign korrespondiert, gezeigt und kann von Besucher:innen mitgenommen werden. Ausgehend von den im Zine versammelten Briefen, entwickelt Becket MWN eine neue Performance, die im Rahmen der Eröffnung von Video Digest am Freitag, 24.11. um 20 Uhr gezeigt wird.
AYESHA HAMEED
Ilemūria, 2023
Video
lemūria ist eine tamilische Version des Wortes Lemuria, einem mesozoischen Landkorridor, von dem Paläowissenschaftler:innen im 19. Jahrhundert annahmen, er sei später im Meer versunken, um die geologischen Ähnlichkeiten zwischen Madagaskar und Indien zu erklären. Von tamilischen Revivalisten im 19. und 20. Jahrhundert aufgegriffen, wurde Lemuria in alte poetische Bildwelten von kaţalkōl - große Überschwemmungen, die Küstenstädte versenkten – aufgenommen und als Kumari Kandam, ein verlorener tamilischer Kontinent, der die Wiege aller menschlicher Zivilisation war, neu imaginiert.
Eine eher dravidische als arische Ursprungsgeschichte, deren Zerstreuung durch die katastrophalen Überschwemmungen von kaţalkōl ausgelöst wurde. Ein Atlantis vor Atlantis.
Ilemūria spielt in Kozikhode (ehemals Calicut) – einst ein antiker Hafen im Indischen Ozean. Durch Feldforschung in den Küstenregionen der Mangroven und im Malabar Institute of Plant Sciences erforscht die Arbeit persönliche und umweltbedingte Traumata sowie die Möglichkeit des Überlebens mit und durch andere Arten und benachbarte Welten.
JI SU KANG-GATTO
screenshots_final_korrigiert_final_letzte version_final, 2023
HD Video, 9:09 Min.
In ihrem neu entstandenen Videobeitrag greift Ji Su Kang-Gatto Tracy Chapmans Song Talkin‘ Bout a Revolution auf und interpretiert die Botschaft des Liedes, das vor ihrer Geburt komponiert und geschrieben wurde, indem sie die Schlüsselwörter „whisper“ und „revolution“ auf ihr künstlerisches Konzept übertragt.
Kang-Gatto interessiert sich in ihrer Arbeit für die potentielle Unmittelbar-keit des Mediums Video in einem von Social Media geprägten Wirkungsbereich. Dabei bedient sie sich einer einfachen, intimen Sprache.
Mit Fragen wie: „Was ist es wert, festgehalten zu werden?“ oder„ Was ist es wert, erinnert zu werden?“, die bewusst Unsicherheit und Mehrdeutigkeit suggerieren, reagiert Kang-Gatto auf den aktuellen Überfluss zirkulierender Bilder und Videoaufnahmen. Dabei unterstreicht sie die Annahme, dass besonders die scheinbar beiläufigen Erinnerungen unsere Identität ausmachen.
Indem sie ihre Verletzlichkeit mit radikaler Sanftheit artikuliert, stellt sie Stereotype und Erwartungen in Frage. In Anlehnung an Chantal Akermans Kommentar zur Kunst und Genderdebatten, thematisiert Kang-Gatto aktuelle Herausforderungen, die ihr als weiblich gelesene Künstlerin im Jahr 2023 begegnen.
RRANGWANE
Pulayakgojana TV, 2023
HD Video, 4:23 Min.
Ein Glossar zu Rrangwanes Arbeit Pulayakgojana TV
Pulayakgojana: beschreibt auf Setswana (erste Amtssprache Botswanas) den Regen, der in einem Dorf fällt, nachdem in rituellen Handlungen um diesen gebeten wurde. Rrangwane verweist im Titel auf die vergessene indigene Praxis des ‚Regenbittens’, die in ihrer kolonialen Fehlübersetzung und Verzerrung als ‚Regenmachen’ bekannt wurde. Die graue Regenwolke, die zu Beginn der Videoarbeit und im Verlauf in Form eines Logos eingeblendet wird, scheint mahnend über die Beiträge und Erzählungen des Senders Pulayakgojana TV zu wachen. Pulayakgojana TV ist in seiner Ästhetik und Machart inspiriert durch Bob TV, einem TV Sender der Bophuthatswana Broadcasting Corporation in der früheren Republik Bophuthatswana (1977 – 1994), der in Botswana empfangen werden konnte.
Pula: bedeutet Regen und ist zugleich die Bezeichnung für die nationale Währung Botswanas.
Team Sisiboy: Sisiboy ist die Bezeichnung für den amtierenden Präsidenten Botswanas Mokgweetsi Eric Keabetswe Masisi (seit 2018).
Team SKI: SKI ist die Bezeichnung für den Vorgänger des amtierenden Präsidenten, Seretse Khama Ian Khama.
Khama und Masisi tragen seit der Amtsüber- nahme von Masisi ihre Konflikte über die Wirksamkeit unterschiedlicher politischer Maßnahmen öffentlichkeitswirksam aus. Wie eine Umfrage ergab, geht die Mehrheit der Bevölkerung in Botswana davon aus, dass dieser Konflikt inzwischen negative Auswirkungen auf die Stabilität von Wirt- schaft und Politik hat.
National Arts Council of Botswana (NACB): das National Arts Council of Botswana wurde am 27. Mai 2023 mit einem offiziellen Akt, an dem auch Präsident Masis teilnahm, ins Leben gerufen und soll die Kreativbranche in Botswana wegweisend verändern.
Rrangwane beschäftigt sich in deren* Videos, die dey vollständig auf ihrem Smartphone produziert, mit dem Fortwirken kolonialer Erzählungen und Machtstrukturen – verbunden mit einer Rückbesinnung auf das indigene Wissen und kulturelle Praktiken ihrer Vorfahren.
LEYLA YENIRCE
Being Strong Is Hard, 2021
HD Video, 4:13 Min.
Die Videomagazine Infermental, Schauinsland und Zapp Magazine leben auch von der schieren Menge an disparatem Bild- und Videomaterial, das, teilweise editiert, in schneller Abfolge eingetaktet ist. Vor dem Hintergrund eines insgesamt beschleunigten Video- und Nachrichtenkonsums auf den unterschiedlichen (Social Media-)Plattformen hat die Künstlerin Leyla Yenirce mit Being Strong Is Hard eine audiovisuelle Arbeit entwickelt, in der die Geschwindigkeit des gezeigten Materials noch einmal deutlich zunimmt. Das selbst aufgenommene oder online gefundene und von der Künstlerin gemeinsam mit Kuno Seltman überarbeitete Material zeigt kurdische Aktivistinnen, Journalistinnen und Kämpferinnen in ihrem Engagement für politische Selbstbestimmung.
Von einem elektronischen Beat unterlegt, der auch von Yenirces Arbeit als Musikerin und Soundkünstlerin zeugt, findet die Arbeit eine überzeugende Form für die medial vermittelte Gleichzeitigkeit und Überlagerung von Nachrichten und Musikclips, politischer Aktivierung und Unterhaltung im Sekundentakt. Dabei führt Yenirce mit dem Format des Bilderkarussels eine wichtige historische Referenz für ihre Arbeit und ein frühes Beispiel für Bilderfluten an.
Neben der Videoarbeit werden Leyla Yenirce und der Schriftsteller und Dramaturg Mazlum Nergiz am Samstag, 24.11. um 18:30 Uhr im Rahmen einer Lesung eigene Texte im Dialog mit Auszügen aus Die größere Hoffnung (1948), Unglaubwürdige Reisen (2005) und Die Gefesselte (1953) der österreichischen Schriftstellerin Ilse Aichinger (1921-2016) vorstellen.