Image use with Akiko Hada's kind permission
© Akiko Hada, 2022i

Flowers from the Underground

Independent Musikvideos der 1980er-Jahre zwischen Konzert, Heimvideo und Musikfernsehen

Heute ist das Musikvideo ein formal klar definiertes und kommerziell erfolgreiches Genre. Zu Beginn der 1980er-Jahre war das keineswegs der Fall. Künstler*innen, Musiker*innen, Filmemacher*innen und Aktivist*innen experimentierten mit herkömmlichen Super-8-Kameras und neuen Videotechniken, alternativen Erzählweisen, radikalen visuellen Effekten und schnellen rhythmischen Schnitten. Dabei taten sich ihnen immer wieder neue Möglichkeiten für die Präsentation und Distribution der Videos auf: als Projektion bei Konzerten, als VHS auf dem heimischen Videorekorder oder als Musikclip zur Ausstrahlung im Fernsehen. Die Videos, die wir im Rahmen von Flowers from the Underground zeigen, dokumentieren, wie Akteur*innen aus dem Bereich der Independent Musik – Post-Punk, New Wave, Industrial und Elektronik – diese neuen technischen und erzählerischen Möglichkeiten in den 1980er-Jahren ausgelotet und dabei unerwartete Verbindungen zwischen Kunst, Musik und Film geschaffen haben. Der Titel des Programms ist der VHS-Kompilation Morgana – Flowers from the Underground entlehnt, die 1985 erstmals Videos von Malaria!, den Einstürzenden Neubauten oder Strafe für Rebellion auf die heimischen Fernsehgeräte brachte.

Mit Videos von Malaria! / Brigitte Bühler und Dieter Hormel, Eva Gössling / Werner Schmiedel, Einstürzende Neubauten / Peter Sempel, Strafe für Rebellion, Akiko Hada / Holger Hiller / Karl Bonnie, Jonathan X.

Programm

Der von Brigitte Bühler und Dieter Hormel auf Super-8 gedrehte Film arbeitet mit schnellen Schnitten, rhythmischen Lichteffekten und farbigen Überlagerungen. Die Bandmitglieder Bettina Köster (Gesang), Gudrun Gut (Schlagzeug), Susanne Kuhnke (Synth), Christine Hahn (Bass) und Manon Duursma (Gitarre) tanzen mit abgehackten Bewegungen im Zeitraffer durch ein Berliner Kellergewölbe. Sie hatten gerade erst ihr Debütalbum Emotion veröffentlicht und produzierten nun im Anschluss diesen Clip, um die Platte im Fernsehen und auch auf MTV bekannt zu machen. Malaria! prägte damit ihren ganz eigenen kühlen, dunklen und dennoch tanzbaren Wave.

Das Video des Regisseurs Peter Sempel entstand beinahe durch Zufall, als ihm an einem sonnigen Dezembertag ein Schmetterling auf seinem Hamburger Balkon begegnete. Er filmte ihn mit seiner Super-8-Kamera und es entstand das Video zu Seele brennt, jenem legendären Song der Einstürzenden Neubauten, in dem Blixa Bargeld zu einem fatalistischen Klaviermotiv über seinen Weltschmerz flüstert und schreit. Die Einstürzenden Neubauten entwickelten ihren apokalyptischen Sound Anfang der 1980er-Jahre auf einfachen selbst gebauten Instrumenten aus Schrott und Alltagsgegenständen. Seele brennt ist eines der ersten Stücke, bei dem sich die Band an herkömmlichen Songstrukturen orientiert hat und bei dem – neben Haushaltsgegenständen und Industriewerkzeugen – auch herkömmliche Instrumente zum Einsatz kommen.

Tiefe, berauschende Eindrücke einer zweigeteilten Stadt. Im Januar 1980 beginnt die Reise in einer alten S-Bahn am Bahnhof Friedrichstraße. Sie gleitet über den Todesstreifen an der Kongresshalle vorbei zum Bahnhof Zoo, Endstation Charlottenburg. Anstelle der Geräusche der Großstadt erklingt Lieben Sie Saxofon der Formation BLÄSSE: Brigitte Bühler – Gitarre mit Stimmgabel, Xaõ Seffcheque – Bass und Schlagzeug, Eva Gössling, S-Bahn-Fahrerin – Sax-Lines. Mit seiner behutsamen, grafischen Bildsprache konservierte der Videokünstler Werner Schmiedel die Atmosphäre des mittlerweile entschwundenen Berlin. Mit SAMO© aka Jean-Michel Basquiat entwickelte Gössling im Herbst 1979 die Melodien im Badezimmer der Künstlerin Arleen Schloss in New York. Das Video projizierte die Band bei ihren Konzerten.

Bernd Kastner und Siegfried Syniuga machen seit 1979 als Strafe für Rebellion Musik. Ihr experimenteller Industrial-Sound entsteht durch die analoge und elektronische Manipulation gefundener Klänge, präparierter Instrumente und selbst gebauter Geräuschemacher. Sie drehten diesen 16-mm-Film 1983 an der Kunstakademie Düsseldorf in der Klasse von Nam June Paik, gemeinsam mit Richard Pleuger (Regie), Kai Uwe Kaul (Kamera) und Ute Janssen (Maske / Dekoration). Darin erscheinen die Musiker als Mischwesen aus mittelalterlichen Sensenmännern und christlichen Geistlichen vor den gotischen Gewölben des Altenberger Doms. Alternierend mit Nahaufnahmen von Insekten, beschwören die Bilder eine rätselhafte Stimmung herauf.

Das Video entstand in einer Zusammenarbeit der Künstlerin Akiko Hada mit den Musikern Holger Hiller (Palais Schaumburg) und Karl Bonnie (Renegade Soundwave) für das Label Mute Records. Sie experimentierten mit Super-8-Aufnahmen und entwickelten davon ausgehend eine eigene Methode der Videobearbeitung, die heutige digitale Effekte vorwegnimmt. Für den Song wurden ausschließlich die Klänge aus dem ursprünglichen Filmmaterial verwendet. In Analogie zum Musiksampling wurde das Bild parallel zur Komposition bearbeitet und editiert. Entstanden ist ein dynamisches, energiegeladenes Video, in dem Bild und Sound eng miteinander verwoben sind. Das Video wurde auf MTV ausgestrahlt und war zudem eine der ersten Erscheinungen auf CD-Video, einem Ende der 1980er-Jahre entwickelten Format, das digitales Audio mit analogem Video kombinierte, sich jedoch nicht durchsetzen konnte.

Jonathan X spielte als Schlagzeuger bereits in verschiedenen R&B-, Soul- und Punk-Formationen in Deutschland und den USA als er sich in den späten 1970er-Jahren der experimentellen Produktion von Musikvideos zuwandte. Seine Jobs bei amerikanischen Fernsehsendern ermöglichten ihm auch außerhalb der Arbeitszeit den Zugang zu dem notwendigen Equipment. Das Video I Feel Rejected entstand 1983 kurz nach seiner ersten Kündigung und spiegelt die Ängste eines jungen Mannes in einer neuen Stadt wider, der sich gerade hoffnungsvoll auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten versuchte und nun bitterlich enttäuscht wurde. Der Künstler schreit sich die Seele aus dem Leib, während sein Körper sich in Videoeffekten auflöst. Über internationale Videomagazine gelangte der Clip in den 1980er-Jahren bis nach Deutschland.

Gefördert durch

Im Rahmen der

Similar events