LUTZ MOMMARTZ | ZWEILEINWANDKINO | SKIZZE, AUSSCHNITT | 1968 | ©
LUTZ MOMMARTZ | ZWEILEINWANDKINO | SKIZZE, AUSSCHNITT | 1968
© LUTZ MOMMARTZi

Fallstudie 6: Lutz Mommartz, Zweileinwandkino, 1968

im Rahmen der Austellung The Invisible Force Behind

Typ

Fallstudie

Datum

01.01.2014

In dieser Fallstudie hat sich das imai erstmals mit der Konservierung und Restaurierung eines Kunstwerks beschäftigt, in dem Filmmaterial und Filmprojektoren verwendet werden. Die Studie zum Zweileinwandkino von Lutz Mommartz erweitert die Perspektive auf den Typ der kinematografischen Installation. Während der Vorführungen des Zweileinwandkino im Jahr 1968 wurde das 16mm-Filmmaterial bereits so verschlissen, dass danach nur noch eine dokumentarische einkanalige Videofassung existierte. Nach über 45 Jahren konnte das imai 2014 das Zweileinwandkino in seiner ursprünglichen Installation in der Ausstellung The Invisible Force Behind wieder zeigen.

Werkbeschreibung

Lutz Mommartz begann Mitte der 1960er Jahre, Experimentalfilme zu drehen und über Mehrfachprojektionen die kinoüblichen Bahnen der Filmvorführung zu verlassen. Als Arnold Bode die Initiatoren der Düsseldorfer Künstlerkneipe Creamcheese einlud, während der documenta 4 eine Dependance in Kassel zu eröffnen, stellte Mommartz dort sein Zweileinwandkino aus. Zwei große Leinwände standen im Abstand von circa zehn Metern parallel zueinander und bildeten den ‚Kinoraum‘. Direkt hinter jeder Leinwand war ein 16mm-Projektor aufgebaut, der durch ein in die Leinwand geschnittenes Loch die Filmbilder auf die gegenüberliegende Leinwand projizierte. Vorgeführt wurden die zwei eigens für das Zweileinwandkino produzierten Filme Gegenüber und Rechts/Links, deren jeweilige Filmhandlung auf beiden Leinwänden simultan stattfand. Dabei waren die Szenen auf den separaten Leinwänden wie in einem Dialog miteinander verknüpft. Die Zuschauer waren auf diese Weise gefordert, die Ereignisse miteinander zu verbinden, indem sie sich mal der einen und mal der anderen Leinwand zuwendeten. Der Raum zwischen den Leinwänden wurde auf diese Weise als Ort des Geschehens miteingeschlossen.

Nach der Ausstellung des Zweileinwandkino in Kassel und kurze Zeit später in der Kunsthalle Bern war das 16mm-Filmmaterial der dazugehörigen Filme Gegenüber und Rechts/Links weitgehend zerschlissen. Eine synchrone Vorführung der Filme auf zwei Leinwänden war mit den fragmentarischen Filmstreifen nicht mehr zu realisieren. Zur Erinnerung an das Werk stellte Lutz Mommartz in den 1990er Jahren eine Videodokumentation aus den Filmresten her.

Zielsetzung

Die Stiftung imai führte mehrere Gespräche mit dem Künstler über eine Rekonstruktion des Werkes. Dabei ging es nicht nur um die Wiederherstellung der ursprünglichen räumlichen Installation, sondern vor allem um die digitale Zusammenführung der erhaltenen Filmreste zu einer abspielbaren Neufassung. Es wurde dabei in Erwägung gezogen, gegebenenfalls ein Remake des Films Gegenüber zu produzieren, weil zu diesem Film wenig Ausgangsmaterial, aber ein detailliertes Drehbuch existierte. Doch trotz der genauen Kenntnisse und der Mitarbeit des Künstlers wurde deutlich, dass der Film nicht überzeugend durch eine Neuverfilmung ersetzt werden konnte. In der Zeitspanne zwischen der Erstverfilmung von 1968 und der geplanten Neuverfilmung 2013 hatten sich nicht zuletzt die technischen Bedingungen des Filmdrehens und Filmprojizierens so grundlegend geändert, dass eine zeitgemäße Anpassung unweigerlich zu einem veränderten Resultat geführt hätte. Die Option, durch eine Neuverfilmung von Gegenüber dessen künstlerische Idee zumindest im Ansatz zu vermitteln, konnte schließlich aufgegeben werden, als Lutz Mommartz unvermutet in seinem Archiv auf längst verloren geglaubte Filmfragmente stieß. Dieses wiedergefundene Material war ausreichend, um mithilfe von digitalen Schnitt- und Bearbeitungsverfahren sowohl für Rechts/Links als auch für Gegenüber synchronisierte Fassungen herzustellen, die trotz ihrer kürzeren Laufzeit die konzeptuelle Einheit der Originalfilme bewahrten.

Ergebnisse

Im Fall des Zweileinwandkino wurde deutlich, dass ein Remake der Filme keinen authentischen Ersatz geschaffen hätte. Stattdessen sind in der Rekonstruktion neugeschnittene Fassungen des Ursprungsmaterials an die Stelle der zerstörten Originalfilme getreten. Für die Aufführung in der Installation des Zweileinwandkino, die sich an den ursprünglichen Maßen orientierte, war eine Ausbelichtung auf 16mm-Film zwingend notwendig, damit über die Verwendung von Filmprojektoren die wesentliche historische Referenz zum Expanded Cinema und zu Mommartz‘ Anliegen, eine erweiterte Kinorealität zu schaffen, beibehalten wurde.

Mit der Fallstudie zum Zweileinwandkino wurde untersucht, wie digitale Techniken zur Erhaltung und Rekonstruktion von filmbasierten Kunstwerken eingesetzt werden können. Wesentlich war ebenfalls die an diesem Beispiel zu führende Diskussion über die konzeptuelle Abhängigkeit von zeitbasierten Medien und deren Präsentationsgeräten.

Die Ergebnisse der Fallstudie sind publiziert in:
Renate Buschmann, "Anmerkungen zum Remake des Zweileinwandkino von Lutz Mommartz" und "Am schönsten ist das Zweileinwandkino, wenn es nicht in Betrieb ist. Ein Gespräch zwischen Renate Buschmann und Lutz Mommartz", beides im Buch Die Gegenwart des Ephemeren. Medienkunst im Spannungsfeld zwischen Konservierung und Interpretation. Renate Buschmann „Eine Vision von Kino“ im Ausstellungskatalog The Invisible Force Behind. Materialität in der Medienkunst.

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